Bildung ist Therapie

Empfohlene Proteinmengen für ältere Menschen mit Sarkopenie

Mittwoch, 06. September 2023

Definition der Sarkopenie:

Unter einer Sarkopenie versteht man die altersbedingte Abnahme der Muskelmasse. Dieser Prozess ist in einem bestimmten Ausmaß physiologisch bedingt und setzt bereits ab einem Alter von ungefähr 30 Jahren ein.

Einführung und Hintergrund

Um die Gesundheit zu fördern und aufrecht zu erhalten, empfiehlt die WHO für jüngere (18. bis 64. Lebensjahr) und ältere Erwachsene (ab dem 65. Lebensjahr), bei denen keine Kontraindikationen in Bezug auf körperliche Aktivität gegeben sind, Krafttraining und Ausdauertraining. Krafttraining, das alle großen Muskeln anspricht, sollte an zwei oder mehr Tagen der Woche ausgeführt werden und moderates oder intensives Ausdauertraining sollte für 75 bis 150 Minuten oder länger ausgeführt werden. Krafttraining ist mit zahlreichen gesundheitlichen Vorteilen assoziiert. Zudem ist Krafttraining häufig auch essenzieller Bestandteil in der Rehabilitation internistischer, muskuloskelettaler, geriatrischer, neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen.

Klinische und sozioökonomische Problemstellung

Da die Weltbevölkerung in den nächsten Jahrzehnten zunehmend aus Menschen über 65 Jahren bestehen wird, werden wir in unseren Gesundheitssystemen vermehrt mit typischen Alterserkrankungen zu tun haben, wie z. B. kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 und Tumoren. Eine weitere typische Erkrankung des Alters, die mit weitreichenden individuellen und sozioökonomischen Konsequenzen verbunden ist, ist die Sarkopenie, d. h. der altersbedingte Verlust der Muskelmasse. Muskel ist ein metabolisch hochaktives endokrines Gewebe und Muskelmasse ist ein wesentlicher Aspekt, der die Kraftleistungsfähigkeit mitbestimmt. Es stellt sich also die Frage, wie Muskelmasse im Alter erhalten oder sogar gesteigert werden kann.

Was sind die Eckpfeiler für eine Zunahme der Skelettmuskulatur?

Die wichtigsten Faktoren für den Aufbau und den Erhalt der Muskelmasse sind:

• körperlicher Aktivitätsstatus im Sinne von Krafttraining,

• ausreichende tägliche Proteinzufuhr

In diesem Zusammenhang müssen folgende Schlüsselpunkte realisiert werden:

• Für den Muskelaufbau reicht es nicht aus, wenn die Proteinzufuhr erhöht, aber kein Krafttraining gemacht wird.

• Umgekehrt kann das Muskelaufbaupotenzial nicht ausgeschöpft werden, wenn die tägliche Proteinzufuhr chronisch unter dem erforderlichen Niveau liegt.

In Bezug auf den Proteinkonsum bei älteren Menschen gibt es diesbezüglich zwei Hauptprobleme:

• Anaboler Widerstand im höheren Alter (anabolic resistance).

• Proteindefizit in den Lebensmitteln, die ältere Menschen konsumieren.

Anaboler Widerstand/Proteindefizit

Bei älteren und übergewichtigen Menschen lässt sich das Phänomen des anabolen Widerstandes beobachten. Das bedeutet, dass physiologische Veränderungen, die mit dem höheren Lebensalter einhergehen, dazu führen, dass die Proteinverdauung und die Absorptionsrate von Aminosäuren reduziert werden. Die meisten älteren Erwachsenen scheinen darüber hinaus zu wenig Protein zu sich zu nehmen. Ältere Menschen essen aus verschiedenen Gründen weniger Protein:

• neurosensorische Veränderungen bzgl. Appetit und Lebensmittelpräferenzen,

• reduzierter Energiebedarf,

• ökonomische Barrieren,

• kulturelle Barrieren,

• individuelle Überzeugungen: Zu viel Protein sei schädlich für die Nieren oder die Knochen. Für Personen mit gesunden Nieren ist dies jedoch falsch.

Eine ausreichende Proteinzufuhr über mehrere Monate oder Jahre hinweg ist assoziiert mit fettfreier Körpermasse am Bein und mit Quadrizepskraft. Zudem senkt dies das Risiko für funktionelle Einschränkungen.

Was ist bezüglich der täglichen Proteinzufuhr zu beachten? Folgende Aspekte sind bezüglich der täglichen Proteinzufuhr zu berücksichtigen:

  • Gesamtmenge an Protein pro Tag
  • Proteinmenge pro Mahlzeit
  • Verteilung über den Tag
  • Proteinqualität

Gesamtmenge an Protein pro Mahlzeit und pro Tag

Ältere Erwachsene bewahren die Fähigkeit die ernährungsinduzierte Muskelproteinsynthese auf ein ähnliches Niveau zu heben wie jüngere Erwachsene; allerdings benötigen sie hierfür eine größere Menge an Protein.

Die Obergrenze für die ernährungsinduzierte Muskelproteinsynthese liegt bei jüngeren Erwachsenen bei 0.24 g / kg Körpergewicht / Mahlzeit und bei älteren Erwachsenen bei 0.4 g / kg Körpergewicht / Mahlzeit.

Eine noch höhere Proteinzufuhr könnte weitere Vorteile mit sich bringen, indem z. B. der Nettoproteinanabolismus verbessert werden könnte.

Die Übersicht der aktuellen Literatur ergibt, dass ältere Erwachsene, die keine eiweißbezogenen Kontraindikationen aufweisen, pro Mahlzeit bzw. pro Tag mindestens folgende Proteinmengen zu sich nehmen sollten:

• 0.4 g / kg Körpergewicht / Mahlzeit bzw.

• 1.2-1.6 g / kg Körpergewicht bei insgesamt 3-4 Mahlzeiten pro Tag.

Gesamtmenge an Protein pro Mahlzeit und pro Tag

Es muss hier angemerkt werden, dass die empfohlene Tagesdosis für Protein für Erwachsene zwischen 19 und 65+ Jahren von großen Ernährungsgesellschaften nach wie vor mit 0.8 g / kg Körpergewicht / Tag angegeben wird (z. B. Institute of Medicine of the National Academic 2005; Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) 2017).

Die DGE empfiehlt eine Tagesdosis für Protein von 1.0 g / kg Körpergewicht / Tag für Menschen ab 65 Jahren.

Sowohl die PROT-AGE Gruppe als auch die European Society for Clinical Nutrition and Metabolism erachten dies als eine zu geringe Tagesdosis und empfehlen 1.0-1.5 g / kg Körpergewicht / Tag.

Verteilung der Proteinzufuhr über den Tag

Für die Prävention und Therapie der Sarkopenie sollte die Proteinzufuhr gleichmäßig über den Tag bzw. auf alle Mahlzeiten verteilt werden anstatt auf eine Mahlzeit. D. h., jede Mahlzeit sollte mindestens 0.4 g Protein / kg Körpergewicht / Mahlzeit enthalten.

In welchem Zeitraum nach dem Training man essen sollte, hängt davon ab, wann man und wie viel man das letzte Mal vor dem Training gegessen hat. Muskeln sind mindestens 24 Stunden nach einem Training für die Proteinaufnahme sensibilisiert.

Grundsätzlich gilt:

• Je zeitlich näher vor dem Training man eine volle Mahlzeit eingenommen hat (maximal 3- 4 Stunden vor dem Training), desto weniger wichtig ist es, unmittelbar nach dem Training zu essen.

• Wenn man vor dem Training nichts isst (nüchternes Training), dann sollte man sehr zeitnah nach dem Training essen.

• Es kommt primär auf die Gesamtproteinmenge pro Tag an und sekundär auf das exakte Timing.

• Für das Ziel Muskelaufbau gilt, dass man in einem Zeitraum von 4 bis 6 Stunden, innerhalb dessen das Training stattfindet, zwei Mahlzeiten mit der empfohlenen Proteinmenge konsumieren sollte.

Proteinqualität

Vom Standpunkt des Skelettmuskelaufbaus ist die Qualität des Proteins entscheidend. Die Proteinqualität kann mit verschiedenen Scores bewertet werden. Empfohlen wird der DIAAS (Digestible Indispensable Amino Acid Score) zur Beurteilung der Proteinqualität.

Tierisches Protein, aus z. B. Molke, Eier oder Fleisch hat eine höhere Proteinqualität als die meisten pflanzenbasierten Proteine, wie z. B. Soja oder Weizen.

Es wird vermutet, dass die niedrigere Qualität pflanzenbasierter Proteinquellen im Vergleich zu tierischen Proteinquellen auf den niedrigeren Leucingehalt und auf den niedrigeren Verdaulichkeitskoeffizienten zurückzuführen ist. Die Lösung für letzteres Problem sind Pflanzenproteinisolate. Das Problem des niedrigeren Leucingehalts kann durch eine gewissenhafte Menüplanung gelöst werden. Manche Pflanzenproteinisolate haben einen ähnlichen Leucingehalt wie tierisches Protein. Besonders hervorzuheben ist hier Kartoffelproteinisolat.

Besonderen Stellenwert für die Muskelproteinsynthese hat die Aminosäure Leucin. Wenn ältere Erwachsene über die Ernährung nicht genügend hochwertiges Protein aufnehmen können, dann ist eine Supplementierung von Leucin gerechtfertigt. McKendry et al. (2020) empfehlen eine Gesamtmenge von 4.5 g Leucin oder mehr pro Mahlzeit.

Merke:

Für Omnivoren (Allesfresser) ist es grundsätzlich nicht notwendig, Protein zu supplementieren, um auf die aus der aktuellen Forschung abgeleiteten Proteinmenge pro Tag und pro Mahlzeit zu kommen. Durch gute und langfristige Planung lassen sich die genannten Proteinmengen auch mit gewöhnlichen Mahlzeiten aufnehmen. Es spricht allerdings auch nichts gegen eine Supplementierung von Protein mit entsprechenden qualitativ hochwertigen Pulvern. Für Menschen, die vegan leben, könnte dies sogar notwendig sein, wenn sie auf die empfohlene Tagesdosis an qualitativ hochwertigem und vollständigem Protein kommen wollen.

Andere  Nahrungsergänzungen- Kreatin

• Kreatin ist eine natürlich vorkommende stickstoffhaltige organische Säure, die aus Methionin, Arginin und Glycin besteht.

• Kreatin kommt in zahlreichen Körpergeweben vor wie z. B. im Herz, Hirn und der Retina. Hauptsächlich kommt es aber in der Skelettmuskulatur vor (ca. 95 % der Gesamtmenge im Körper entweder als Phosphokreatin oder als freies Kreatin) und spielt eine Hauptrolle im Energiestoffwechsel der Skelettmuskulatur.

• Kreatin wird in der Leber und den Nieren synthetisiert. Es kann auch über die Nahrung (z. B. Fisch, Fleisch) oder über Nahrungsergänzungsmittel aufgenommen werden.

• Dosierungsmöglichkeiten: 4x / Tag ca. 5 g Kreatinmonohydrat für 5-7 Tage und anschließend 3-5 g / Tag ODER 3 g / Tag für 28 Tage.

• Eine Kombination mit Krafttraining ist notwendig.

• Nebenwirkungen einer Supplementierung von Kreatin sind unwahrscheinlich (10)

„…eine Kreatin-Supplementierung bietet eine sichere, gut verträgliche und effektive Ernährungsstrategie zur Verbesserung der Skelettmuskelanpassungen, wenn sie in Kombination mit einem Krafttraining stattfindet.“ (McKendry et al. 2020)

Andere Nahrungsergänzungen – Fischöl und Vitamin D

Omega-3-Fettsäuren (Fischöl)

• Omega-3-Fettsäuren könnten die Skelettmuskulatur sensibilisieren für akute anabole Krafttrainingsreize.

• Bis dato gibt es aber keine Langzeitstudien, die die synergistische Wirkung von Krafttraining und Omega-3-Fettsäuren in älteren Menschen mit Sarkopenie untersucht haben. (13) Vitamin D

• Vitamin D ist ein fettlöslicher Nährstoff, der eine wichtige Rolle spielt in der Aufrechterhaltung der Skelettmuskulatur.

• Um Skelettmuskelmasse und -funktion aufrechtzuerhalten, sollten ältere Erwachsene eine Serum Vitamin D Konzentration von 50 nmol/l anstreben. Mehr als 50 nmol/l scheint keinen zusätzlichen Nutzen zu haben für die Skelettmuskulatur.

Die Einnahme von Protein mit ausreichend hoher Qualität (d. h. Leucin-reiches) in Kombination mit einem Krafttraining ist der primäre und wohl am besten bewiesene Faktor zur Verbesserung oder wenigstens zur Aufrechterhaltung der Skelettmuskelmasse und -funktion mit fortschreitendem Alter. (McKendry et al. 2020)

Eine Literaturliste kann ich Ihnen, auf Anfrage, gerne zukommen lassen.

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