Bildung ist Therapie

Stress und Stresskompetenztraining

Montag, 18. Juli 2022

Geschrieben von: Alexander Arnold

Stress und Stresskompetenztraining

Der beruflich gestresste Mensch wird oftmals ohne weitere Nachfrage gleich mit Prestige assoziiert. Stimmt das noch oder war das einmal und ist im Denken der Meisten schon lange vorbei?

Wer heute über die Grenzen hinaus gestresst ist, zeigt damit im Wesentlichen lediglich, dass er nicht (noch nicht) über ausreichende Kompetenzen verfügt, seine Lebens- und Arbeitsaufgaben in einer effektiven Weise zu bewältigen, seine Ressourcen zu optimieren und gut für sich zu sorgen.

Noch immer sehen manche in den sich abarbeitenden die Leistungsstarken, ist das aber auch langfristig für eine Gesellschaft effektiv und effizient? Wohin führt das? Für den Einzelnen und dessen Umfeld?

Wo und wodurch entsteht denn Krankheit (mental und körperlich) und was kostet das letztlich die Gemeinschaft in einer Gesellschaft bei all` dem Karriere- und Erfolgsstreben, das dies ohne Aufbau nötiger Stresskompetenzen fördert?

Um effektiv und effizient etwas gegen den Stress in seinem Leben zu tun, sollte jeder sich zunächst damit auseinandersetzen, was Stress für ihn/sie überhaupt ist und wie sehr er individuell schaden kann.

Die WHO definiert Stress wie folgend:

"Ungleichgewicht zwischen Anforderungen und dem auf eine Person einwirkenden Druck auf der einen Seite und deren Wissen und Fähigkeiten auf der anderen Seite" (nach Wilkinson & Marmot, 2003)

Wie können wir Stress für uns definieren?

Physiologisch betrachtet bezeichnet Stress biochemische Reaktionen des Körpers auf außergewöhnliche Situationen. Wenn also etwas Bedrohliches aufritt oder etwas besonders aufregend ist, reagiert der älteste Gehirnteil („Reptiliengehirn“) mit der Aussendung bestimmter Botenstoffe, die es ermöglichen, diese Situationen besser zu meistern.

Das nimmt man dann als Stress wahr. Grundlegend stellt das eigentlich kein Problem dar. Nur wenn man zu oft im Stress ist, kann es zu körperlichen und seelischen Problemen kommen.

Das heißt zunächst also einmal:

-Stress ist eine sinnvolle Reaktion unseres Körpers

-Stress sichert dadurch unser Überleben

Die körperlichen Stressreaktionen machen es möglich, auf gefährdende Ereignisse besser regieren zum können. Dies geschieht weitgehend automatisch, ohne bewusst darüber nachdenken müssen. Und das macht auch Sinn.

Würde man immer, wenn man mit dem Auto bremsen muss erst überlegen, ob man das denn auch wirklich tun soll, dann wäre das für uns letztlich sicherlich mehr Stress. Nein, man reagiert in solch einem Fall automatisch und damit vor allem auch schnell. Das Reptiliengehirn hat somit die Aufgabe, das Überleben zu sichern. 

Das, was dabei als Stress wahrgenommen wird, ist Teil dieser Überlebensmechanismen. Das Problem ist nur, dass dieser Gehirnteil nicht befähigt ist, zwischen wirklich gefährlichen und harmlosen Situationen zu unterscheiden. Das Reptiliengehirn lernt also nicht wirklich dazu und deshalb gerät man immer auch dann in Stress, selbst wenn man solche Situationen rein vom Bewusstsein her als "ungefährlich" einordnen könnte.

Stress-Spirale

Wirklich gefährlich wird der chronische Stress. Dauerstress führt zu einer negativen Stressspirale.

Dadurch, dass wir uns immer mehr gestresst fühlen, haben wir den Eindruck, unser Leben nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Das wiederum bereitet uns immer weiteren Stress. 

Selbst wenig bedeutsame Dinge können dann Menschen vollkommen aus der Fassung bringen und sie reagieren mit Panik, Angst, Aggression oder auch Lähmung. Dass ihnen die Situation dabei immer mehr aus den Händen gleitet, verstärkt denn Stress wiederum.

Man erfährt das Gefühl, das Leben sei nur noch durch vermehrten Einsatz und mehr Leistung zu bewältigen und man sucht und findet dann fataler Weise somit gar keine Erholung mehr, sondern bleibt auf dem "Gas" stehen.

Wenn von Stress gesprochen wird, dann meinen die Meisten dabei den negativen, den belastenden Stress. Genau betrachtet gibt es aber auch noch eine ganz andere Art von Stress.

Neben dem bereits angeführten, oft negativ empfundenen „Di-Stress“ gibt es auch den sogenannten „Eu-Stress“.

Eu-Stress empfindet man z.B. bei einer befriedigenden Aufgabenstellung, in der man ganz und gar aufgehen kann oder wenn man sich stark auf etwas freut und darüber positiv aufgeregt ist. Dann fliegt die Zeit dahin und so viel man auch zu erledigen hat, man fühlt sich dennoch frei und zufrieden. Der Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi bezeichnet diesen Zustand als „Flow“.

Die meisten Menschen kennen Stress wohl aus ihrem Arbeitsleben.

Viele Menschen haben in ihrem Erleben auf der Arbeit permanent zu viel zu tun und spüren dadurch einen ständigen Druck, dem sie ausgesetzt sind. Gerade dann, wenn viele verschiedene Aufgaben gleichzeitig bewältigt werden müssen, empfinden viele das als Stress.

Stress entsteht aber nicht nur durch eine zu große Arbeitslast. Stress entsteht auch im Kopf, wenn man das Gefühl bekommt, im Beruf einer Aufgabe nicht wirklich gewachsen zu sein, wenn man Konflikte mit den Kollegen oder dem Chef auszutragen hat oder wenn man gerade generell Angst um seinen Arbeitsplatz haben muss. Stress im Berufsleben ist somit weit verbreitet und vielfältig.

Vielen ist das aber nicht genug und sie suchen sich dann auch noch den sogenannten Freizeitstress für ihr Leben aus.

Anstelle des Ausspannens in der Freizeit, machen sich viele Menschen sogar noch mit ihren Freizeitaktivitäten Stress, indem sie viel zu viele Verpflichtungen eingehen, so dass ihnen im Grunde keine freie Minute mehr für sich selber, zur Reflektion, Auszeit und Entspannung bleibt.

Stress entsteht also, wenn man nicht zur Ruhe kommt. Wenn man seine Freizeit so mit Aktivitäten füllt, dass uns diese Ruhepausen fehlen, dann wird auch die Freizeit eine ständige Quelle von Stress.

Es ist also in jedem Fall sinnvoll, für sich selbst herauszufinden, was denn wirklich individuellen Stress bereitet und was die daraus folgenden Stressreaktionen für einen selber darstellen!

In der psychosomatischen Forschung hat man für eine Vielzahl physischer Symptome und Erkrankungen einen mehr oder weniger direkten Zusammenhang mit psychischen Vorgängen nachweisen können.

In umfangreichen arbeitsmedizinischen Untersuchungen wurde eine Beteiligung von beruflichem Stress an der Entstehung oder Weiterentwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zum Infarkt, chronisch erhöhtem Blutdruck, Störungen des Immunsystems und bösartigen Tumoren festgestellt.

Mit Stress in Zusammenhang gebrachte Krankheiten und Beeinträchtigungen:

Konzentrationsstörungen, Nervosität, Depressivität, Angst, Schlafstörungen, Migräne, Muskelverspannungen, Allergien, Gefäßerkrankungen, Magen-Darm-Erkrankungen, Asthma, Suchtkrankheiten wie Alkohol- und Medikamentenmissbrauch

Diese Liste lässt sich aktuell immer häufiger durch das sogenannte Chronische Erschöpfungssyndrom (Chronique Fatique Syndrom, CFS), bei dem vielfältige körperliche Beschwerden mit massiven Konzentrationsstörungen, allgemeiner Leistungs- und Antriebsschwäche und einer ständigen, starken Müdigkeit einhergehen, ergänzen. 

Es gilt als erwiesen, dass nichtbewältigter Stress vor allem auf längere Sicht die Gesundheit beeinträchtigt und das Auftreten von Krankheiten begünstigt. Die Frage, auf welchem Wege dies genau und explizit geschieht, ist noch in vielen Forschungsfeldern von Interesse und aufgrund der Komplexität noch nicht umfassend beantwortet.

Der Mensch ist -wie anzunehmen- nur begrenzt dazu in der Lage, langanhaltende, starke psychische Belastungen völlig ohne gesundheitliche Schädigung zu ertragen.

Immunologen besagen, dass eine wachsende wissenschaftliche Bestätigung dafür gibt, dass starker und chronischer Stress direkt das Immunsystem schwächt, so unmittelbar zu gesundheitlichen Störungen führt und den Verlauf bestehender Krankheiten negativ beeinflussen kann. 

Ein zehnwöchiges therapeutisches Anti-Stresstraining bei Frauen mit Brustkrebs führte zum Beispiel zu deutlich verbesserten Cortisol- und Immunwerten. 

Stressbefunde gibt es auch in der Herzmedizin, wonach akuter Stress die Blutgefäße blockiert und zur Plaque-Bildung beiträgt. 

Wichtig in diesem Zusammenhang scheint die Tatsache, dass Stressoren und Stressreaktionen auf längere Sicht bei vielen Menschen zu kritischen Veränderungen ihres persönlichen Gesundheitsverhaltens führen und damit auch indirekt das psychosomatische Erkrankungsrisiko erhöhen: 

-schneller Griff zu "alltäglichen Beruhigungsmitteln" wie Zigaretten, Alkohol, Schlafmittel

-nicht genügend Zeit für Erholungspausen, unregelmäßige Einnahme der Mahlzeiten und unausgewogene Zusammensetzung der Nahrung

-zu wenig Schlaf

-zu wenig Bewegung (Freizeitaktivitäten, Ausgleichssport)

Solch gesundheitsabträgliche Lebensweisen verursachen Erkrankungen, die nicht nur die eigenen Leistungsmöglichkeiten vermindern und damit die persönliche Belastbarkeit und Stresstoleranz herabsetzen, sie wirken auch ihrerseits wieder als zusätzlich belastende Lebensereignisse und Stresssituationen. 

Es entsteht damit eine Abwärts-Spirale, bei der Ursache und Wirkung bald nicht mehr voneinander zu trennen sind. Der Mensch fühlt sich unsicher, nervös, gereizt, emotional angespannt, innerlich unausgeglichen, häufigen und starken Stimmungsschwankungen zwischen Euphorie und Depression ausgesetzt, kann nicht mehr klar denken, fühlt sich getrieben und gehetzt.

Die Kontrolle über sich selbst droht zu entgleiten und man fühlt sich gleichzeitig hilflos. Man weiß und spürt auch, dass man anderen gegenüber aggressiver und ungeduldiger reagiert als früher und damit zwischenmenschliche Beziehungen aufs Spiel setzt.

Das Vertrauen in die eigene Kraft und Leistungsfähigkeit geht verloren, Welt- und Selbstsicht werden zunehmend pessimistischer, Lebensfreude schwindet, Selbstwertgefühl wird instabil, Ängste nehmen zu (zum Beispiel vor beruflichem Misserfolg, von anderen als Versager angesehen zu werden, vom Partner verlassen zu werden etc.).

Endstadien können dann Verzweiflung, Depression, Gefühle völliger Hilflosigkeit, manchmal sogar Selbstmordgedanken sein. Je länger solche Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens anhalten und je weniger Hoffnungen die betroffene Person hat, dass die auslösenden Umstände sich in absehbarer Zeit ins Positive verändern, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie irgendwann auch weitere organische Krankheitsbilder entwickeln wird. 

In oftmals nahezu augenscheinlichen Fällen wirkt es so, als wolle sich der Organismus auf diese Weise eine Erholungspause erzwingen und dazu gleichzeitig ein eindeutiges Warnsignal abgeben zu wollen.

Werden solche Warnsignale (Stresssignale) ignoriert, manifestiert sich in eventuell sogar eine Tendenz zur Selbstzerstörung, so dass sich die betroffene Person regelrecht zu einem "Tode hinarbeitet", der in Japan sogar einen eigenen Namen hat und als "Karoshi" bezeichnet wird.

Wir sollten also Entspannung und Stressmanagement ernster nehmen. Reagieren wir rechtzeitig und helfen wir uns selbst oder lassen wir uns helfen, indem wir uns selbst wichtig nehmen, wichtiger als jene Dinge im Leben, denen wir meinen, uns unter ordnen zu müssen.

Sich selbst wichtiger zu nehmen, sich und sein Selbst wieder verstärkt "frei zu legen", um sich mit der nötigen Eigenliebe aus einer solchen Abwärts-Spirale wieder herauszuhelfen, erfordert Achtsamkeit, Reflexionsfähigkeit, Wachheit und Präsenz den Dingen gegenüber, die uns selber als Mensch, der wir sind, ausmachen.

Ein Weg, seinen Umgang mit Stress zu optimieren ist das multimodale Stresskompetenztraining.

Worum geht es dabei und welche Ziele verfolgt es?

Grundgedanken:

-Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln (W-D-F-H-Modell) sind integral miteinander verbunden

-durch diese Einheit wird die Handlungskompetenz bestimmt

-dadurch bestimmt sich dann ebenso die Handlungseffektivität und Regulationsfähigkeit beim Vermeiden bzw. Bewältigen von Stress

- unsere Regulationsfähigkeit ist die aktive Anpassung, das Dazulernen wie auch die persönliche Flexibilität und die Verhältnismäßigkeit bei der Bewertung und Bewältigung von Stress

-geistige Offenheit, Alternativdenken und Flexibilität bilden wesentliche Elemente psychischer Gesundheit

-weitere Komponenten von Stressbewältigung und Problemlösefähigkeit sind Selbstregulation, aktive Einflussnahme auf die Umwelt, Selbstakzeptanz und Toleranz

Ziele des Trainings:

  • Entwicklung, Förderung, Verbesserung des kompetenten Umgangs mit Stress
  • Stresskompetenz stellt vorausschauenden und positiv orientierten Begriff dar
  • beim Training sollten sich beim Menschen als biopsychosoziales Wesen also biologische, psychische und soziokulturelle Ebenen (Modalitäten der Persönlichkeit) gleichberechtigt wiederfinden
  • diese Komplexität begründet den „multimodalen“ Ansatz mit einer Betrachtungsweise aus diesen unterschiedlichen Blickwinkeln
  • Kennenlernen, Erfahren und Auswahl individuell präferierter Entspannungstechniken

Multimodales Stresskompetenztraining dient somit also der Gesundheitsförderung, d.h. es setzt wie alle anderen Trainingsprogramme an den persönlichen Ressourcen an.

Das Gruppen-Setting in Seminarform soll dabei Eigenaktivität, gegenseitigen Austausch und gegenseitiges Lernen fördern.

Es wird auf der Basis von individuellen wie auch gruppenspezifischen Problemstellungen Wissen vermittelt, Selbstreflexion angeregt, Handlungsstrategien und Techniken besprochen.

Das Training grenzt sich klar von therapeutischer Einflussnahme ab.

Mut zu Selbsterkenntnis, echter Entspannung, Ehrlichkeit und Treue zu euch selbst! Damit ihr gesund bleibt und auch andere nicht krank macht!

Das wünsche ich euch!

Herzlich

Bildquelle: Fotolia

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